Streit im Berufsleben

Streit im Berufsleben

Als ich vor ein paar Tagen wieder einmal mein Seminar „Harmonisch streiten in Beziehungen“ gehalten habe, hat mich ein Teilnehmer gefragt, ob ich auch auf Streit zwischen Chef und Mitarbeiter eingehen würde. Ich musste ihn enttäuschen: dieses Seminar ist nur für gleichberechtigte Partner gedacht. Selbst Kollegen streiten anders, denn sie folgen der Streitkultur ihres Unternehmens.

Warum rede ich in dem Seminar über „Streit“ und nicht über den viel neutraleren „Konflikt“ oder die „Auseinandersetzung“? Ich wollte schon im Titel darauf hinweisen, dass eine Auseinandersetzung zwischen Partnern durchaus feurig sein darf und soll, weil so die unterschiedlichen Interessen klar werden und man zu einem Konsens kommen kann. Wenn man streitet, ist das auch ein enges Miteinander.

Und wie sieht das in einer Firma aus?

So eng wollen wir im Beruf in der Regel weder mit Chef noch Kollegen sein. Ich bin durchaus dafür, dass auch im Beruf Auseinandersetzungen feurig sein dürfen, aber nur dann, wenn es für jeden der Beteiligten um die Sache geht, wenn niemand persönlich angegriffen wird. Sobald es persönlich wird, muss das Feuer herausgenommen werden.

Warum ist beruflicher Streit aber nun etwas völlig anderes als der zwischen Paaren? Sowohl eine Partnerschaft als auch eine Firma bzw. eine Abteilung sind ein System, und Systeme werden wesentlich bestimmt durch die Transaktionen und Regeln, die zwischen den Elementen des Systems üblich sind. Der Regelsatz, der uns hier besonders interessiert, ist die Streitkultur. Paare bzw. gleichberechtigte Partner können diese Kultur entwickeln und vereinbaren, das ist ein wesentlicher Inhalt meines Seminars.

Streitkultur in Firmen

In Firmen, die älter sind als ein paar Monate, ist die Streitkultur festgeschrieben. Sie hat sich, bestimmt durch die Führung, entwickelt und ändert sich wenig, wenn ein neuer Mitarbeiter in die Firma kommt. Wenn ich also einem Mitarbeiter erkläre, wie Streitkultur entsteht und wie er sie zusammen mit seinen Streitpartnern pflegen kann, nützt ihm das in der Firma nichts, denn den Einfluss und die Macht dazu hat er nicht. Das ist Aufgabe der Führung.

Aber auch die kann die Streitkommunikation nur schwer ändern. Selbst wenn sie feststellt, dass die Firma zu einem pöbelnden Barbarenhaufen verkommen ist, und sie weiß, es ist kontraproduktiv, ist sie in der Regel hilflos. Man kann wunderschöne und wohldurchdachte Pamphlete über die Firmenpolitik veröffentlichen, von teuren Beratern formuliert. Erfahrungsgemäß hat das die gleiche Wirkung wie wenn man bei der nächsten Betriebsversammlung „Piep, piep, piep, jetzt habt Euch alle lieb!“, rufen würde: Keine. Kultur kann man nicht befehlen.

Eine neue Streitkultur

Eine neue Streitkultur zu etablieren, ist ein schwieriges Unterfangen. Bei Paaren hilft es, sozusagen „über Bande zu spielen“: Zuerst wird festgestellt, wo es narzisstische Kränkungen gibt, wo Übertragungen und Gegenübertragungen eine Rolle spielen. Wo werden Machtspiele gespielt und weshalb? Wo ist das System überfordert und wie sind die Rollen verteilt, welche Dramen sind wirksam?

Was muss eine Firma dafür tun?

Diese Fragen müsste man bei einer Firma auch stellen, um eine mangelhafte Streitkultur rasch auflösen zu können. Das geht aber nicht, solche Fragestellungen wären im Beruf übergriffig. Und so bleibt nur der langsame, mühsame Weg:

  • Die Führungskräfte müssen sich ihrer eigenen Schwächen bewusst sein, sie sollten aufhören, hierarchisch führen zu wollen und den Mitarbeitern ein Mitspracherecht einräumen.
  • Führungskräfte müssen Streit mit und unter den Mitarbeitern genau beobachten und dürfen nicht zulassen, dass es dabei um Personen, gar persönliche Angriffe geht und nicht um die Sache.
  • Die Führung muss Überforderungen aus dem System nehmen. Dabei soll nicht weniger gearbeitet werden, sondern intelligenter, so dass Dauerstress erst gar nicht auftritt.
  • Extreme Narzissten und Psychopathen müssen mindestens aus Vorgesetztenpositionen entfernt werden.
  • Beförderungen müssen auf einer sachlichen Ebene vorgenommen werden und nicht per „Nasenfaktor“.
  • Die Möglichkeit einer Fachlaufbahn muss eingerichtet werden.
  • … und das sind nur die wichtigsten Punkte, die ständig überprüft werden müssen – sonst wird das Ganze ein Strohfeuer.

Es gibt keine schnelle Lösung. Wenn der langsame, mühsame Weg nicht gegangen wird, vor allem, wenn Mitarbeiter nicht offen und angstfrei ihre Meinung sagen dürfen, wird sich die Streitkultur und damit das Betriebsklima nicht verbessern. Frust und Schleimen wird weiter um sich greifen, „Dienst nach Vorschrift“ die Regel werden. Und dann kommt die nächste „Dieselkrise“, die eigentlich eine Führungskrise ist. Um das noch einmal klar zu stellen: Ein Vorgesetzter ist nicht für das Glück seiner Mitarbeiter verantwortlich. Aber für das Funktionieren der Firma. Und das geht nicht ohne halbwegs glückliche Mitarbeiter, die beim Gang in die Firma keine Magenschmerzen bekommen..

Also noch einmal zum Mitschreiben:

  • Das Klima von Auseinandersetzungen zwischen Chef und Mitarbeiter wird vom Chef bestimmt. Verlangt der Unterwerfungsgesten, wird er von seinen Mitarbeitern nichts mehr hört und nur noch von Schleimern umgeben sein.
  • Ein solcher Chef muss dann alles ohne Unterstützung seiner Mitarbeiter selbst machen. Sie werden ihn vor drohenden Gefahren nicht warnen und sich diebisch freuen, wenn er ins offene Messer rennt – gerade die Schleimer.
  • Das Klima von Auseinandersetzungen zwischen den Mitarbeitern wird wesentlich von der Führung geprägt. Überforderung, Ungerechtigkeiten und Nepotismus führen zu persönlichen Auseinandersetzungen und zum Kriegen zwischen Personen und Abteilungen.
  • Wenn ein Streit aufbricht, braucht man sich nicht um den Anlass zu kümmern, der ist meist trivial. Das Wichtige ist die Ursache, und die ist meist so gut versteckt, dass sich noch nicht einmal die Streitenden selbst an sie erinnern. Diese Ursache muss untersucht werden.
  • Ein Psychopath an entscheidender Stelle kann eine Firma ruinieren.
  • „Konkurrenz zwischen den Mitarbeitern ist gut, das hält sie scharf!“ Wirklich? Oder macht sie das nur bissig? Haben sie dann vor lauter Bissigkeit überhaupt noch Zeit, sich um die Belange der Firma zu kümmern?

Wenn Entscheidungen nur noch politisch gefällt werden, wenn keiner mehr widerspricht, weil das sanktioniert wird, wenn alles von „oben“ angeordnet werden muss, dann haben Sie eine klassische Zombie-Firma. Sie bewegt sich noch, taumelnd und ohne rechtes Ziel. Vielleicht macht sie sogar noch Gewinn, weil sie sich andere, gesunde Firmen einverleibt, aber eigentlich wäre ihr Tod eine Erlösung.

Autor: Roland Scherer

Roland Scherer, Jahrgang 1951, Buchautor, systemischer Personal und Life-Coach. Ausbildung und Zertifizierung zum Psychologischen Berater und Coach. Sein Schwerpunk liegt auf lösungsfokussierte Gesprächsführung, systemisches Denken und Handeln und Aufstellungen. Er praktiziert seit Jahren im Rahmen der Begleitung seiner Klienten Systemische Aufstellungen, wobei er die Systemische Struktur-Aufstellung nach Insa Sparrer und Mathias Varga von Kibéd als besonders hilfreich erfahren hat.

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