Wir Fünfzehigen Steinbeißer

Wir Fünfzehigen Steinbeißer

Stellen wir uns vor, es ist das späte Tertiär. Dort lebt ein Tier, das noch nicht weiß, dass es von den Paläontologen später „Buckliger Fruchtschlürfer“ genannt wird (Paläontologen nennen neuentdeckte Tiere immer so sonderbar). Den Fruchtschlürfern geht es eigentlich ganz gut, bis die Raubtiere, die ihnen nachstellen, sich so entwickeln, dass sie schneller werden. Die Fruchtschlürfer werden so zu ihrer bevorzugten Beute, ihre Zahl nimmt ab.

Da wird auf einmal ein Fruchtschlürferjunges geboren, mit einer vielversprechenden Mutation, das es schneller macht als seine Eltern. Dieses Junge würde der Evolution dieser Tierart eine ganz neue Richtung geben, sie würde aufgrund ihrer neuerworbenen Geschwindigkeit überleben, sie würde zur beherrschenden Tierart des späten Tertiärs werden.

Da schlägt das Schicksal zu: bevor es alt genug ist, um sich fortzupflanzen, geht unser Super-Fruchtschlürfer an einem Berg entlang, ein Stein fällt herunter, das Tier wird von ihm erschlagen. Aus mit der Rettung der Buckligen Fruchtschlürfer, die Fünfzehigen Steinbeißer werden zur erfolgreichsten Art, die Fruchtschlürfer sterben aus. Die Paläontologen begründen das später absolut schlüssig: „Weil sie zu langsam waren!“ Dabei war es reiner Zufall. Auch denken die Paläontologen nicht systemisch: wären die Raubtiere nicht schneller geworden, sondern größer, wären die größeren Steinbeißer für sie interessant geworden, die Fruchtschlürfer wären keine adäquate Beute mehr gewesen, sie hätten möglicherweise überlebt.

Was hat das mit uns zu tun?

So, die Geschichte mag ja ganz amüsant sein, aber was hat sie mit uns zu tun? Sehr viel, denn wir sind die Nachfahren von den sogenannten „Gewinnern der Evolution“, von den angeblich „fittesten“, von den Fünfzehigen Steinbeißern. Tatsächlich hatten die aber nur Glück gehabt. Wir glauben aber, dass unsere Vorfahren gewonnen haben, weil sie fitter, schneller, intelligenter wurden, weil sie mehr „Biss“ gezeigt hätten. Dabei wissen wir inzwischen, dass der Homo Sapiens durch einen Flaschenhals der Evolution gegangen ist, unsere genetische Vielfalt ist dabei gewaltig geschrumpft. Wir wären beinahe ausgestorben. Dann würden heute Neandertaler- oder Denisova-Paläontologen (oder ein anderer, bisher unbekannter Habilis-Nachkomme) begründen, warum ihre Spezies überlebt hat und nicht Homo Sapiens.

Menschen neigen nämlich dazu, und das nicht nur in der Paläontologie, Rückschaufehler zu begehen. Dabei finden sie logische Begründungen für vergangene Ereignisse, die in Wirklichkeit nicht logisch begründbar sind, sondern oft auf Zufall basieren. Da wir aber so gut darin sind, linearlogisch zu denken – ohne Zweifel hat uns das in Gebieten, die der aristotelischen Logik („wenn … dann“) folgen, sehr weit gebracht. Wir können uns solche Ereignisse auch viel besser merken, wenn sie in einem logisches Netz verknüpft sind. Aber manchmal sind die Dinge chaotisch, sie folgen keiner nachvollziehbaren Logik.

Ich denke da an Friedrich den Großen, der nicht nur gefordert hat, dass seine Generale kenntnisreich sind, sondern auch, dass sie „Fortün“ hätten, also Glück. Ihm war klar, dass der Erfolg oder Misserfolg nicht nur von harter Arbeit, Mut und Fantasie abhängt, sondern in vielen Fällen vom Glück oder Pech. Das wird heute von vielen unserer Politiker und Firmenlenker, unseren sogenannten Eliten, gerne vergessen, weil sie sich dann den Erfolg nicht selbst zuschreiben können. Ich empfehle hierzu die Bücher des Zufallsforschers Nassim Talib, vor allem den „Schwarzen Schwan“.

Aber auch in Projekten führt oft der Zufall das Zepter. Konnten wir das Projekt wie geplant durchführen oder kam es zu einem HiPPO-Effekt? Haben sich die Randbedingungen geändert? Sind zufällig folgenschwere Fehler aufgetreten?

Fazit

Versuchen Sie nicht, Dinge logisch zu begründen, die so nicht begründbar sind. Manchmal laufen Dinge einfach schief, die „eigentlich“ nicht hätten schief laufen können, und andere klappen, von denen Sie das nie gedacht hätten. Was hilft – auch bei Auftreten von Schwarzen Schwänen – Projekte oder Vorhaben in trockene Tücher zu bekommen, ist, die Effizienz nicht von vorne herein bis zum Äußersten zu treiben. Lassen Sie den Projekten die Luft zum Atmen, die sie brauchen.

Autor: Roland Scherer

Roland Scherer, Jahrgang 1951, Buchautor, systemischer Personal und Life-Coach. Ausbildung und Zertifizierung zum Psychologischen Berater und Coach. Sein Schwerpunk liegt auf lösungsfokussierte Gesprächsführung, systemisches Denken und Handeln und Aufstellungen. Er praktiziert seit Jahren im Rahmen der Begleitung seiner Klienten Systemische Aufstellungen, wobei er die Systemische Struktur-Aufstellung nach Insa Sparrer und Mathias Varga von Kibéd als besonders hilfreich erfahren hat.

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