Die Kunst der Langsamkeit

Die Kunst der Langsamkeit

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Hohe Geschwindigkeit wird heute als eine Qualität angesehen, die überall gefordert wird. Wer schnell ist, ist gut, wer langsam ist, trödelt. Leistungsverdichtung! Hast ist Trumpf! 50 E-Mails lesen in einer Viertel Stunde? Kein Problem! Die Aufgaben eines Tages in eine Stunde gequetscht? Aber sicher doch, jeder der länger braucht, gehört zum alten Eisen. Wenn alle rasen, lohnt es sich, innezuhalten und nach dem Wohin zu fragen.

Weg von der Hast!

Ich erzähle jetzt nichts von Meditation. Wenn ich unter Druck bin, ist es mir unmöglich, still zu sitzen, erst gar nicht im unbequemen Lotussitz. Da werde ich nur noch hibbeliger. Ich muss etwas tun, muss mich bewegen, nur so kann ich mich langsam runterbremsen und zu mir kommen. Aber Joggen ist wieder Leistung zeigen und Geschwindigkeit vorlegen, das ist auch nichts.

Für solche Situationen habe ich den Foxwalk gelernt, die Kunst des langsamen Schreitens. Das hört sich genauso asiatisch an wie Meditation, wurde aber von allen Jäger-und-Sammler-Völkern praktiziert. In der Reinform geht das so:

Foxwalk

Sie gehen in den Wald in einen Bereich mit möglichst vielen raschelnden Blättern und knackenden kleinen Zweigen. Also nicht auf einen Weg! Dort ziehen Sie Schuhe und Strümpfe aus – ja, das ist notwendig, und zwar aus ganz praktischen Gründen, nämlich um sich möglichst lautlos bewegen zu können. Sie stellen sich in die Richtung, in die Sie gehen möchten. Sie schauen in die Weite, ohne den Blick zu fokussieren, so als würden Sie mit offenen Augen träumen. Ihre Aufmerksamkeit ist eher im peripheren Bereich Ihres Gesichtsfelds, nicht wie sonst in seinem Zentrum.

Und nun machen Sie den ersten Schritt. Halt, nicht so schnell! Jeder Schritt dauert mindestens drei Sekunden. Sie lenken Ihre Aufmerksamkeit zu dem Fuß, der sich zu einem kleinen Schritt nach vorne bewegt, aber bitte ohne hinzuschauen, der Blick ist weiterhin nach vorne und in die Ferne gerichtet. Sie senken die Fußspitze langsam ab und ertasten, was unter ihr liegt. Wenn da ein Ästchen ist, kann es mit der Fußspitze langsam wegbewegt werden, oder Sie setzen die Fußspitze woanders hin. Wenn Sie mit der Fußspitze einen sicheren Stand haben, senken Sie den Fuß langsam ab, bis Sie auf der ganzen Fußsohle stehen. Sie verlagern Ihr Gewicht auf diesen Fuß und dann ist der andere dran, einen Schritt zu machen. Ziel ist es, sich ruhig, langsam und völlig lautlos zu bewegen.

Machen Sie den Mund dabei auf, denn der Foxwalk ist anstrengend, und man würde Ihr Atmen hören, wenn Sie nur durch die Nase atmen würden. Sie werden sich am Anfang verzweifelt um Balance bemühen müssen. Wenn Sie, bevor Sie müde werden, bei den ersten Versuchen drei bis fünf Meter schaffen, dann war das viel.

Foxwalk ist Stress abbauen in der Natur

Die sogenannten Naturvölker haben auf diese Art und Weise gejagt, sie haben sich so an das Wild heranbewegt. Wir dagegen, die wir unser Fleisch im Supermarkt kaufen, haben vom Foxwalk einen anderen Nutzen. Ich bin bei dieser Fortbewegung gezwungen, mich ganz auf den Bewegungsablauf einzulassen. Ich habe gar keine freien Kapazitäten mehr für andere Gedanken, ich bin ganz im Hier und Jetzt. Mit ein bisschen Übung kann ich durch das absichtslose Schreiten Stress und Anspannung abbauen. Der Foxwalk ist keine Leistungsdisziplin, Sie müssen nicht eine bestimmte Strecke schaffen! Wenn Sie keine Lust mehr haben oder Ihre Gedanken nicht mehr bei Ihrer Wahrnehmung halten können, hören Sie auf!

Ein netter Nebeneffekt beim Foxwalk ist, dass Tiere Sie nach einiger Zeit nicht mehr wahrnehmen. Sie sind nicht mehr ein Fremdkörper im Wald, sondern werden Teil des Waldes. Das hört allerdings in dem Augenblick auf, wenn Sie sich auf ein solches Tier fokussieren. Wenn Sie denken: „Ach schau mal, ein Eichelhäher!“, scheint sich Ihre Körperhaltung oder Ihr Bewegungsmuster so zu ändern, dass der Vogel Sie plötzlich wieder wahrnimmt und krächzend flieht.

Entspannung – für sowas habe ich keine Zeit!

Sie müssen nicht jeden Tag eine bestimmte Zeit zu Joggen oder in der Mucki-Bude zu verbringen. Denn dabei geht es wieder um Schnelligkeit und Leistung. Probieren Sie einfach einmal aus, einen Teil Ihrer  für Fitness reservierten Zeit mit dem Foxwalk zu verbringen. Es wird Sie nicht umbringen, wenn Sie an einem Tag mal nicht vor sich weglaufen, sondern ganz bei sich sind. Sie werden sehen, mit etwas Übung macht er Ihnen zwar keine müden Muskeln, aber einen freien Kopf.

Der Segen der Langsamkeit

Das Besondere am Foxwalk sind zwei Dinge, die aus unserem Leben fast verschwunden sind:

  • die Langsamkeit – pro Schritt mindestens drei Sekunden, kleine Schritte, keine hastigen Bewegungen
  • die Absichtslosigkeit – der Foxwalk hat kein Ziel

Durch beides ändert sich unsere Wahrnehmung, wir sehen Anderes auf andere Art und Weise. Sind Sie im Foxwalk geübt, können Sie sich auch im täglichen Leben willkürlich entschleunigen. Sie müssen nicht immer alles hastig machen. Wir schaffen es durch unsere manische Hast, Fehler zu machen, die uns viel Zeit kosten. Nehmen wir uns die Zeit, die Dinge und Ereignisse wirklich zu betrachten. Dann kommen wir auch vom Schubladendenken los, denn das haben wir gelernt, um Zeit zu sparen. Aber es lässt uns die Einzelheiten übersehen, die scheinbaren Kleinigkeiten, weshalb eine Sache eben doch nicht in die Schublade passt.

Entschleunigt arbeiten

Nehmen wir uns die Zeit, bevor wir zurückschießen, kurz darüber nachzudenken, was den Absender dazu gebracht hat, diese E-Mail so abzuschicken. Wie können wir auf seine Absicht eingehen, ohne unsere Ziele aus den Augen zu verlieren? Warum reagiert ein Mitarbeiter so und nicht anders? Ist das wirklich böse Absicht oder hat er nur etwas falsch verstanden? Nehmen wir uns die Zeit, ihn zu fragen, ehrlich und absichtslos, nicht: „Wie sind Sie denn auf diese dumme Idee gekommen?“, sondern: „Sie haben das anders gemacht, als ich geglaubt habe. Wie sind Sie auf diese Lösung gekommen?“ Denn Sie sparen Zeit, wenn Sie Ihr Gegenüber nicht mit raschen Antworten angehen, sondern sich die Augenblicke nehmen, die für eine sozialverträgliche Kommunikation nötig ist.

Fazit

Es gibt verblüffend viele Bereiche, in denen wir schnell werden, indem wir uns Zeit lassen. Denn eine gute Lösung will die Zeit, die sie braucht. Eine hastige Lösung verschwendet Zeit, denn wir müssen mit ihrer Konsequenz leben.

Der Foxwalk hilft uns, Ruhe zu finden, damit wir uns die notwendige Zeit nehmen können. Möchten Sie ihn lernen? Dann kontaktieren Sie mich, und wir gehen gemeinsam im Wald foxwalken.

Autor: Roland Scherer

Roland Scherer, Jahrgang 1951, Buchautor, systemischer Personal und Life-Coach. Ausbildung und Zertifizierung zum Psychologischen Berater und Coach. Sein Schwerpunk liegt auf lösungsfokussierte Gesprächsführung, systemisches Denken und Handeln und Aufstellungen. Er praktiziert seit Jahren im Rahmen der Begleitung seiner Klienten Systemische Aufstellungen, wobei er die Systemische Struktur-Aufstellung nach Insa Sparrer und Mathias Varga von Kibéd als besonders hilfreich erfahren hat.

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