Warum sind Kollegen immer so kindisch?

Warum sind Kollegen immer so kindisch?

Ich bin es ja auch nicht, ich verhalte mich immer erwachsen. Na ja, fast immer. Oder doch meistens. Na gut, oft jedenfalls.

Wann verhalten wir uns wie Kinder? Wann schalten wir unseren Verstand aus und reagieren nur noch automatisch? Immer dann, wenn uns heftige Emotionen in Bann schlagen. In der Arbeit sind das meist Angst oder heftiger Ärger und Wut. Emotionen lassen uns instinktgesteuert reagieren und bringen archaische Züge zum Vorschein. Wir greifen dann auf Verhaltensmuster zurück, die wir seit der Kindheit kennen und die uns damals geholfen haben, zu überleben.

Kein Säbelzahntiger im Büro

Denn, wenn das Adrenalin durch unseren Körper rauscht, lassen wir uns nicht viel Zeit. Da muss schnell und automatisch reagiert werden. Außer im Beruf. Da steht uns kein Säbelzahntiger gegenüber – auch wenn mancher Chef so brüllt. Da sollten wir uns die Zeit lassen, die notwendig ist, um unseren Verstand einzuschalten, damit der das Ruder übernimmt und nicht die Automatismen. Wenn die Emotionen übernehmen, gibt es nämlich nur drei Verhalten: Angriff, Erstarrung und Flucht. Diese Verhaltensweisen sind in der Arbeitswelt kaum zu gebrauchen, hier müssen wir mit sozialen Fähigkeiten arbeiten. Das können wir aber nur, wenn wir uns über die Gründe im Klaren werden, warum uns die Emotionen in eben diesem Moment überschwemmen.

Der negative Stress

Wut und Angst haben fast immer die gleiche Basis: Stress. Nicht der aktive, positive Stress, den wir selbst anstoßen, um eine herausfordernde Aufgabe zu beginnen. Der ist mit Freude und positiver Spannung verbunden. Was uns emotional entgleisen lässt, ist der passive, negative Stress, der von anderen indiziert wird, den wir uns selbst weder ausgesucht noch akzeptiert haben.

Das fängt beim Informationsstress an, zu dem wir uns aus sozialpsychologischen Gründen gedrängt fühlen. So stehen heute so viele Informationen zur Verfügung, dass wir sie unmöglich alle verarbeiten können. Dennoch fühlen wir uns dazu gedrängt. Wir befürchten, eine wichtige Information zu verpassen und im entscheidenden Moment dumm dazustehen. Und so wird der Informationsstress wirksam – der eigentlich nur eine andere Erscheinungsform der Angst ist.

Dazu kommt unsere stressige Arbeitsweise. Unsere Arbeit ist inzwischen stark fragmentiert, weshalb wir meinen, sie nur noch mit Multitasking erfüllen zu können. Gerade bei herausfordernden Arbeiten, die keine Routine sind, ist Multitasking kontraproduktiv. Zu diesen brauchen wir unser ganzes Hirn. Und so haben wir wieder ein schlechtes Gewissen, wenn wir von einer Arbeit zur nächsten springen, weil wir wissen, dass wir die Anforderungen so nicht optimal erfüllen können. Die Arbeit hat uns „überwältigt“ und lässt uns scheinbar keine Zeit zum ruhigen Überlegen.

Dann ist da noch unsere komplexe Welt, die jede Entscheidung im nächsten Moment falsch erscheinen lässt. Es gibt keine einfachen Regeln mehr, die die Komplexität senken. Und auch flache Hierarchien steigern die Komplexität, wenn sie nur eingeführt wurden, um Führungsebenen zu streichen und so Geld zu sparen. Dann sind die verbliebenen Chefs gestresst, weil sie sich aus Angst um ihren Arbeitsplatz nicht trauen, Arbeit zu delegieren. Und diese Angst geben sie nach unten weiter, sie machen Druck. Würde vor der Einführung flacher Hierarchien zum Beispiel nach agilen Grundsätzen neue Arbeitsweisen eingeführt und geübt, so würde sich der Stress deutlich reduzieren.

Und dann ist auch noch die Motivation durch Zeitdruck besonders beliebt. Das kann durchaus klappen, wenn dieser Druck zeitlich begrenzt ist, zum Beispiel in der Endphase eines Projekts. Wird er aber chronisch, erzeugt er den typisch passiven Stress und verhindert so die Selbstkontrolle der Mitarbeiter.

Besonders unproduktiv ist es, wenn die Angst vor Fehlern geschürt wird. Da jeder Fehler macht, diese aber dann laut Firmenphilosophie nicht vorkommen dürfen, versucht man Fehlern anderen zuzuschieben. Kollegen beklagen sich untereinander über Abwesende und schmieden so unheilige Allianzen.

Befreiung von archaischen Verhaltensweisen

Und wie schaffe ich es nun, archaische Verhaltensweisen nicht die Oberhand gewinnen zu lassen? Nicht wutentbrannt auf einen Kollegen los zu gehen? Im entscheidenden Augenblick nicht zu verstummen? Und nicht die wichtigen Aufgaben wegzuschieben, weil ich „unbedingt meine e-Mails lesen muss“? Das geht nur, indem ich mir die Zeit nehme, mit meinem Verstand zu arbeiten. Dabei helfen die folgenden vier Fragen.

Vier Fragen, damit der Neandertaler nicht die Kontrolle übernimmt

  1. Was will der andere wirklich?
    Bitte gehen Sie nicht davon aus, dass Sie das schon wüssten, bevor Sie ihn gefragt haben. Wir haben oft ganz unterschiedliche Vorstellungen von dem was „auf der Hand liegt“. Also müssen wir kommunizieren. Am besten fragen Sie in der Form: „Habe ich Sie richtig verstanden, dass …“. Damit geben Sie dem anderen die Möglichkeit, seine Vorstellungen zu entwickeln.
  2. Akzeptieren Sie, was Sie nicht ändern können.
    Das Unvermeidliche zu akzeptieren schenkt Seelenruhe und reduziert den Stress. Wir hören auf, gegen Windmühlen zu kämpfen. Nur müssen wir genau prüfen, ob wir wirklich nichts ändern können.
  3. Überprüfen Sie Erwartungen.
    Sowohl die Erwartungen, von denen Sie glauben, dass andere sie an Sie haben, als auch die Erwartungen, die Sie an sich selbst haben. Machen Sie es sich zur Regel, nachzufragen. Die meisten Aufreger passieren durch Missverständnisse. Trauen Sie also keiner vorgefassten Meinung – erst recht nicht Ihrer eigenen.
  4. Bewerten Sie nicht, beobachten Sie.
    Sie kennen nicht die Beweggründe, weshalb sich eine andere Person so verhält, wie sie es tut. Deshalb werden Sie mit ihrer Bewertung fast immer falsch liegen. Beschreiben mehrere Zeugen eine Situation, werden ihre Aussagen unterschiedlich sein, weil sie nicht nur beschreiben, was sie gesehen haben, sondern unbewusst ihre Beurteilung mit in die Beschreibung bringen. Vor allem, bewerten Sie sich nicht selbst, bevor Sie nicht sicher sind, was wirklich geschehen ist. Die Sicht auf sich selbst ist nämlich immer stark eingeschränkt, Bewertungen führen hier leider nur zu unnötigem und wenig hilfreichen Grübeln.

Fazit

Werden Sie sich ab jetzt immer erwachsen benehmen und das kindliche – aber kindisch wirkende – Verhalten zu den Akten legen können? Kaum, das wäre übermenschlich. Aber vielleicht gelingt es Ihnen, etwas öfter rational nachvollziehbar zu handeln, auch und gerade in kritischen Situationen. Können Sie das, haben Sie die notwendige Handlungsfreiheit und ärgern sich hinterher nicht über sich selbst und das zerschlagene Porzellan. Die dazu notwendige Gelassenheit ist eine Tugend, aber kein Zustand, der sich, einmal erreicht, perpetuiert.

Autor: Roland Scherer

Roland Scherer, Jahrgang 1951, Buchautor, systemischer Personal und Life-Coach. Ausbildung und Zertifizierung zum Psychologischen Berater und Coach. Sein Schwerpunk liegt auf lösungsfokussierte Gesprächsführung, systemisches Denken und Handeln und Aufstellungen. Er praktiziert seit Jahren im Rahmen der Begleitung seiner Klienten Systemische Aufstellungen, wobei er die Systemische Struktur-Aufstellung nach Insa Sparrer und Mathias Varga von Kibéd als besonders hilfreich erfahren hat.

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