Und wo lassen Sie denken?

Und wo lassen Sie denken?

Der Titel will provozieren. Jemand mit Führungsverantwortung denkt schließlich selbst, sonst wäre er nicht an dieser Stelle. Er überlässt das niemand anders.

Aber dann wirft man einen Blick auf die Prozessvorschriften, die Leitlinien und die Best-Practice-Anweisungen, die in Firmen verbindlich sind. Man kommt mehr und mehr zu der Einsicht, dass zu wenige führen und zu viele managen. Managen heißt verwalten, heißt Vorschriften befolgen und ihre Befolgung durchsetzen und überwachen. Führen ist etwas ganz anderes.

Corporate Rebels

Joost Minnaar hat den Begriff „Corporate Rebels“  geprägt. Er beschreibt damit Firmenangestellte, die gegen interne Vorschriften rebellieren, die sie als unsinnig oder sinnleer erkannt zu haben glauben. Sie handeln nicht (mehr) nach ihnen und tun stattdessen das, was sie als sinnvoll betrachten.

Das geht allerdings in herkömmlichen, hierarchisch geführten Firmen nur bei wenigen Leuten gut. Entweder sie stehen hierarchisch so hoch, dass ihnen niemand mehr widerspricht, oder sie sind nicht Teil der Firma, wie zum Beispiel externe Berater. Alle anderen riskieren eine Abmahnung.

Es gibt noch eine andere Gruppe, die sich das trauen kann: alte Mitarbeiter kurz vor der Verrentung, die keine Angst mehr haben, weil ihr Rausschmiss teurer wäre, als sie auf dem Elefantenfriedhof zu parken oder mit einer entsprechenden Abfindung gehen zu lassen. Das ist ein Grund, warum ältere Mitarbeiter aus hierarchischen Unternehmen gerne in Frührente geschickt werden. Sie stören, weil sie sich nicht erpressen lassen.

Alle anderen aber, vor allem die, die noch Karriere machen wollen, und die zuhause noch Kinder zu versorgen und ein Haus abzuzahlen haben, richten sklavisch sich nach den hausinternen Vorschriften. Und wer will es ihnen auch verdenken, wenn ihnen eine blütenweiße Personalakte wichtiger ist als sinnvolles Arbeiten?

Sinnentleertes Arbeiten

Schaut man sich die Vorgaben von Firmen allerdings genauer an, erschließt sich deren Sinn in unserer VUCA-Welt in vielen Fällen nicht mehr. Sie stammen aus Zeiten, in denen die Randbedingungen des Arbeitens andere waren als heute. Sie berücksichtigen die neuen Führungsmethoden nicht ausreichend. Auch lässt sich heute nicht mehr feststellen, wer sie wann und warum festgeschrieben hat. Sind sie die Spuren einer Neuen Sau, die jemand durchs Dorf getrieben hat? Einer Sau, die inzwischen längst tot ist? Sind sie die Relikte eines Workshops der Obersten Führung mit einem Berater, der ein Spezi des Chefs war? Jeder ahnt, dass sie unsinnig sind, aber keiner traut sich, sie zu schlachten, weil er nicht weiß, wem er damit auf die Füße tritt.

Führen als Corporate Guerillero

Wenn Sie nicht zu den oben genannten Glücklichen gehören, die wenig Angst um ihren Arbeitsplatz zu haben brauchen, ist es schwer, gegen unsinnige, aber etablierte Vorschriften zu rebellieren. Es bleibt Ihnen meist nichts anderes übrig, als sich formal an die Vorschriften zu halten und alle geforderten Papiere auszufüllen. So tarnen Sie sich nach oben und können sich hoffentlich ansonsten ganz auf Ihre Aufgaben und Projekte konzentrieren.

Sie sind dann kein Rebell, denn der kämpft offen gegen die bestehenden Verhältnisse. Ein Guerillero dagegen nutzt die Schwächen bestehender Verhältnisse zur Durchsetzung seiner Interessen. Er bleibt scheinbar angepasst und tarnt sich durch seine Anpassung.

Wie kämpft ein Guerillero?

Ich behaupte nicht, dass der Guerilla-Kampf einfach ist, doch ist er auf jeden Fall spannender als in der Linie zu bleiben und alle Vorschriften sklavisch zu befolgen. Um ein schlagkräftiger Guerillero zu sein, sollten Sie allerdings die folgenden Tipps beherzigen.

  • Lerne ständig Neues!
    Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen, wenn Sie etwas Neues lernen.
  • Lernen Sie vergessen!
    Sie können nicht alles wissen. Sie brauchen genügend Fachwissen, um Ihre Mitarbeiter zu verstehen. Aber immer auf dem neusten Stand zu sein, ist Aufgabe Ihrer Mitarbeiter, Sie sollen führen.
  • Widerspruch ist ok!
    Der Widerspruch eines Mitarbeiters ist sein Angebot zur Mitarbeit und keine Obstruktion.
  • Lernen Sie zuzuhören!
    Aktiv Zuhörende fragen nach. Sie sind sich nicht von vorne herein sicher, alles richtig verstanden zu haben.
  • Seien Sie misstrauisch – gegen sich selbst!
    Halten Sie nicht jede Ihrer Meinungen für richtig. Meinungen sind von Gefühlen bestimmt, die wir seit unserer Kindheit in uns tragen. Eigene Meinungen sind eben doch keine Tatsachen.
  • Ressourcen sind immer begrenzt!
    Lernen Sie also mit Beschränkungen zu leben. Das macht erfinderisch.
  • Führen Sie wie ein Leutnant, nicht wie ein General!
    Leutnante kennen die Sorgen und Nöte ihrer Leute, ein General hat nie jemanden sterben sehen.
  • Begrüßen Sie Fehler – eigene und fremde!
    Fehler zeigen Ihnen, wo Schwachstellen sind. Sie weisen darauf hin, was verbesserungswürdig ist und führen so zu Innovationen.
  • Seien Sie mutig!
    Ein Guerillero hat keine Angst, enttarnt zu werden. Er schiebt die Schuld nicht auf seine Mitstreiter, denn hat einer von denen falsch gehandelt, hat er ihn nicht richtig geführt.
  • Reichen Sie Druck nicht einfach durch!
    Sie sind Vorgesetzter. Sie werden auch dafür bezahlt, Druck auszuhalten. Ihre Mitarbeiter sollen unbeschwert arbeiten können, nur dann sind sie kreativ.

Fazit

Auch wenn Sie nicht ganz oben in einer Organisation angesiedelt sind, können Sie sich trotzdem die Freiräume schaffen, nach Ihren Vorstellungen zu führen. Manchmal müssen Sie sich tarnen, immer aber müssen Sie mutig sein und für sich selbst und Ihre Mitarbeiter einstehen. Radfahrer sind unbeliebt, nicht nur bei Mitarbeitern.

Autor: Roland Scherer

Roland Scherer, Jahrgang 1951, Buchautor, systemischer Personal und Life-Coach. Ausbildung und Zertifizierung zum Psychologischen Berater und Coach. Sein Schwerpunk liegt auf lösungsfokussierte Gesprächsführung, systemisches Denken und Handeln und Aufstellungen. Er praktiziert seit Jahren im Rahmen der Begleitung seiner Klienten Systemische Aufstellungen, wobei er die Systemische Struktur-Aufstellung nach Insa Sparrer und Mathias Varga von Kibéd als besonders hilfreich erfahren hat.

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