Es gehört zum Wesen eines Projekts, dass aus Sicht der Projektmitarbeiter immer zu wenig Ressourcen zur Verfügung stehen. Das ist aus deren Sicht ärgerlich, führt aber dazu, Kreativität zu fördern, um das Projekt trotzdem ans Fliegen zu bringen.
Oft sind Sie im Projektteam gezwungen, sich Spezialisten mit anderen Projekten zu teilen. Damit dies nicht zu Reibungsverlusten führt, hat eine übergeordnete Stelle dafür zu sorgen, dass eine Multiprojektführung stattfindet. Diese hat die Aufgabe, Ressourcen richtig zu verteilen und Fachkräfte sinnvoll einzusetzen.
Multitasking in Projekten
Wenn Mitarbeiter an verschiedenen Projekten arbeiten sollen und vielleicht Aufgaben aus der Linie übernehmen, ist das eine typische Multitasking-Situation. Noch vor wenigen Jahren hieß es, ein fähiger Mitarbeiter sei in der Lage, mehrere Aufgaben parallel zu bearbeiten. Inzwischen weiß man, dass mehrere Dinge nicht gleichzeitig, sondern nur nacheinander abgearbeitet werden können. Der Wechsel von einer zur anderen Aufgabe ist dann immer mit geistigen Rüstzeiten verbunden. Diese sind notwendig, um sich in die andere Aufgabe einzudenken und das eigene Wissen darüber wieder auf den aktuellen Stand zu bringen.
Ein Mitarbeiter im „Multitaskingbetrieb“ kann also – genau wie ein Multitasking-Computer – unmöglich zu 100 % verplant werden. Wenn die Aufgaben zu oft wechseln, kommt er aufgrund der Rüstzeiten nicht mehr dazu an einer Aufgabe überhaupt etwas zu tun. Das ist ein Zustand, den man umgangssprachlich als Deadlock, die Informatik aber zutreffender als Livelock bezeichnet. Wie Johanna Rothmann schreibt: „Alle arbeiten an Allem. Niemand kommt mehr zu irgendetwas.“
Die Mitarbeiter haben also den höchsten Wirkungsgrad, wenn sie möglichst lange an einer Aufgabe bleiben können. Trotzdem sind sie gezwungen, vor allem in einer Matrixorganisation, an verschiedenen Aufgaben gleichzeitig arbeiten. Das unter einen Hut zu bekommen ist Aufgabe der Multiprojektführung. Sie muss dabei dennoch möglichst agil bleiben, denn Prioritäten können sich durch unvorhergesehene äußere Einflüsse schnell ändern. Die betroffenen Projektmitarbeiter sind von Prioritätsänderungen zeitnah zu informieren, damit sie sich darauf einstellen können, auf weniger oder mehr Ressourcen zurückgreifen zu können. Überraschungen sind in diesem Fall kontraproduktiv.
Änderungen durch eine übergeordnete Stelle sind also jederzeit möglich, trotzdem muss sich diese im Klaren sein, dass Änderungen der Aufgabenverteilung und Multitasking der schnellste Weg ist, langsamer zu werden und nichts zu beenden.
Multiprojektführung
Die Aufgabe, Prioritäten bei mehreren Projekten zu setzen, wird oft Multiprojektmanagement genannt. Ich nenne sie trotzdem Multiprojektführung, weil sie ist eine typische Führungsaufgabe ist und mit managen, also verwalten, nichts zu tun hat. Denn die Multiprojektführung steuert die Gesamtheit der Projekte in einem Unternehmen. Die eigentliche Verteilung der Ressourcen kann dann eine nachgeordneten Stelle, das Management, übernehmen.
Die Vergabe von Prioritäten ist immer eine politische Entscheidung und hat sich an der Unternehmensstrategie auszurichten. Da sie sich über verschiedene Unternehmensbereiche erstreckt, ist sie ausgesprochen komplex. Sie hat auch die Aufgabe, Projekte zu starten und zu beenden. Auch hierbei dürfen persönliche Vorlieben keine Rolle spielen, Entscheidungsgrundlage ist allein die Unternehmensstrategie, die wesentlich von den Kunden und Auftraggebern beeinflusst wird.
Agilität in der (Multi-)Projektführung
Wie bereits beschrieben, ändern sich heute Randbedingungen rasch. Um darauf in angemessener Zeit reagieren zu können, ist eine agile Führung, sowohl der einzelnen Projekte als auch deren Gesamtheit unabdingbar.
Rasches Reagieren auf geänderte Randbedingungen kann aber nun nicht heißen, die Prioritäten möglichst häufig zu ändern. Denn auch die Änderung von Prioritäten verlangt Rüstzeiten und kann somit einen Deadlock verursachen, bei dem nichts mehr vorwärts geht. Die Mitarbeiter sollten bei dem, was sie tun, Sicherheit haben. Ein ständiges „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln!“ verunsichert und macht sie zu Recht unwillig, erst recht, wenn sich die Entscheider nicht einig sind. Man hört dann im Flurfunk: „Jetzt machen wir erst einmal gar nichts. Wer weiß, was morgen gilt?“ Und wer will das den Mitarbeitern auch verdenken, wenn Entscheidungen intransparent sind und so schnell aufeinander folgen, dass sie sich auf dem Dienstweg gegenseitig überholen?
Entscheidungen, die willkürlich erscheinen, werden von Mitarbeitern oft unterlaufen. Hier hilft nur, die Gründe für diese Entscheidungen offenzulegen. Zusätzlich sollte der Informationsweg „nach oben“ funktionieren. Damit die Multiprojektführung überhaupt funktionieren kann, haben Projektteams bereit zu sein, den Status ihrer Projekte zeitnah offen zu legen und in übergeordneten Gremien über Konflikte offen zu sprechen. Unabdingbar ist auch ein funktionierendes Fehlermanagement, das nicht nach Schuldigen, sondern nach Ursachen sucht.
Agil muss nicht Scrum sein
Scrum ist eine agile Methode, die nicht für alle Projekte und alle Firmen gelten kann, erst recht nicht für die Multiprojektführung. Denn agil heißt ja gerade nicht „nach Blaupause“, sondern es beschreibt ein der Situation angemessenes Reagieren. Die angewendeten Verfahren sollten genau überlegt und ihre Auswahl flexibel sein, allerdings einmal festgelegt, für das jeweilige Projekt auch verbindlich gelten.
Inwieweit die Führung noch klassisch ist, hängt von den Mitarbeitern, den Führungskräften, dem Projekt und der Firmenphilosophie ab. Es gibt durchaus Projekte, die besser klassisch geführt werden. Viele Fertigungsprojekte können dazu gehören, vor allem, wenn bei ihnen wenig Entwicklungsaufwand notwendig ist.
Eines darf allerdings auf keinen Fall passieren: Es ist keinesfalls die Aufgabe der Projektmitarbeiter, sich projektübergreifend über die Verteilung von Ressourcenverteilung zu streiten. Solche Probleme sind weiter oben in der Hierarchie zu lösen, denn Projektmitarbeiter und auch Projektleiter haben dazu nicht die notwendige Entscheidungsbefugnis.
Projektabbruch
Das Scheitern eines Projektes darf keine Katastrophe sein. Projekte, so sie diesen Namen verdienen, befassen sich immer mit neuen Dingen, und bei denen ist ein Scheitern möglich, ja sogar wahrscheinlich. Nun gibt es allerdings gerade bei Projekten tote Pferde, die aus persönlichen Gründen weiter geritten werden. Deshalb sind verbindliche Projektabbruchskriterien zu definieren, an die sich dann auch strikt gehalten wird. Der bereits investierte Aufwand darf dabei nicht das entscheidende Kriterium sein. Es ist sinnvoll, nur nach dem noch zu erwartetem Aufwand und dem möglichen Gewinn zu urteilten. Im Innovationsbereich kann es durchaus sein, dass die meisten Projekte scheitern. Das ist nicht schlimm, wenn sich alle Beteiligten darüber im Klaren sind, dass niemand den Nutzen und den Aufwand einer Innovation im Voraus abschätzen kann. Wenn Projekte ohne Erfolgsaussichten früh genug abgebrochen werden, hält sich das Lehrgeld in Grenzen. Tote Pferde dürfen nicht weiter gefüttert werden.
Fazit
Wie Firmen ihre Projekte steuern und wovon sie deren Prioritäten abhängig machen, hängt von der Unternehmensstrategie, den Mitarbeitern und der Art der Projekte ab. Eine Patentlösung gibt es nicht, die Prioritätenvergabe ist eine unternehmerische Entscheidung.
Vor allem sollte man sich den Einsatz gleicher Mitarbeiter in unterschiedlichen Projekten gut überlegen, ein häufiger Wechsel führt zu einem Anstieg von Rüstzeiten und somit zu Zeitverlust.
In jedem Fall gilt der Satz von Tillman Seidel, der sagt, man solle sich auf die Fertigstellung (oder den Abbruch) von Projekten konzentrieren und nicht darauf, neue Projekte zu beginnen. Auf Neudeutsch sagt er:
„Stop starting, start finishing!“