Nehmen wir ein typisches Führungsproblem her: Ein Mitarbeiter hört nicht zu und macht anschließend, was er will und nicht das, was er soll. Der Vorgesetzte will das abstellen und spricht mit dem Mitarbeiter. Dabei wollen wir zwei verschiedene Verhalten betrachten:
- Verhalten A [laut, polternd]: „Ich hab es satt mit Ihren Extratouren! In Zukunft werden Sie mir zuhören. Und wenn ich etwas sage, dann tun Sie das auch! Sonst werden Sie mich kennenlernen!“
- Verhalten B [ruhig, sachlich]: „Ich habe beobachtet, dass Sie an meinen Ausführungen wenig interessiert sind und dass Sie die Anweisungen nicht befolge. Von daher überlege ich, ob Sie überhaupt in unserer Abteilung arbeiten wollen oder ob für Sie etwas Anderes richtiger wäre.“
Welches Verhalten ist besser? Verhalten B, würde man spontan sagen. Es scheint gewaltfrei zu sein, denn es fängt mit einer eigenen Beobachtung ohne Wertung an. Aber es droht mit sozialer Ausgrenzung, mit dem Rauswurf. Es macht also mehr Angst als Verhalten A und wird als erheblich gewaltbereiter erfahren.
Führungsverhalten im Spiegel der Geschlechter
Betrachtet man die beiden Verhalten gendermäßig, möchte man meinen, dass Verhalten A zu einem Mann gehört und Verhalten B zu einer Frau. Aber das sind Vorurteile, die den systemischen Zusammenhang nicht betrachten. Man kann sich durchaus vorstellen, dass eine Frau als Chefin einer Fertigung mit einem Monteur Verhalten B anwendet, während ein Mann als Chef einer Personalabteilung eher zu Verhalten B neigen würde. Das passt im jeweiligen Zusammenhang besser.
Trotzdem, instinktiv halten wir Verhalten A für männlich – John Wayne würde auch so sprechen – und Verhalten B für weiblich, denn wir kennen das von unseren Müttern („… dann ist Mama ganz traurig!“) So, und jetzt noch einmal die Preisfrage: Welches Verhalten ist besser?
Keins von beiden! Wenn jemand nicht zuhört und Anweisungen nicht befolgt, hat das einen Grund. Und um diesen Grund muss sich ein Vorgesetzter kümmern. Wenn die Verweigerung ihm persönlich gilt, will der Mitarbeiter etwas ausdrücken, was er nicht sagen kann oder will. Sie sollten sich darüber zumindest Gedanken machen und nicht davon ausgehen, dass er das einfach nur macht, um sie zu ärgern. Und selbst wenn – was ist seinen Grund dafür?
Der Vorgesetzte ermöglicht produktives Arbeiten
Klar, Sie sind nicht der Therapeut des Mitarbeiters. Aber sie sind trotz manchmal geäußerten gegenteiligen Meinungen als Leiter dafür verantwortlich, dass Ihre Mitarbeiter in einer Umgebung arbeiten können, in der vernünftiges Arbeiten möglich ist. Störungen in Ihrer Abteilung fallen auf Sie zurück, denn Sie haben den größten Einfluss auf dieses System. Sie haben als Leiter die Pflicht, Störungen zu bemerken und die Beseitigung ihrer Ursachen anzustoßen. Und zwar ohne direkt mit Gewalt oder mit Kündigung zu drohen.
Und diese Pflicht ist genderunabhängig. Der Psychologe und Managementberater Werner Dopfer nennt das den Meta-Gender-Führungsstil. Der ist weder weiblich noch männlich, sondern allein situativ. Auch ein Führungsstil, der über den Geschlechtern steht, wird berücksichtigen, ob Chef und Mitarbeiter männlich oder weiblich ist, aber er wird keine Stereotypen bedienen. Erst wenn wir einen solchen Stil entwickeln, wird das Gerede über brusttrommelnde Gorillas und bissige Stuten aufhören und wir können vielleicht endlich vorurteilsfrei und produktiv miteinander arbeiten.
Wir sind nicht eingeschlechtlich
Denn wir alle, egal welches Geschlecht wir laut Ausweis haben, haben männliche und weibliche Anteile. Keine und keiner sollte sich der Anteile des jeweils anderen Geschlechts schämen. Im Gegenteil, diese geben ihr oder ihm einen größeren Handlungsspielraum. Wer nur männlich handelt, grenzt seinen Spielraum und seinen Umgang mit anderen Menschen genauso ein wie jemand, der nur weiblich handelt, und wer sich dazu zwingt, die vermeintliche Handlungsweise des anderen Geschlechts zu übernehmen, wird dazu noch unglaubwürdig.
Versuchen Sie also, Geschlechterstereotypen zu vermeiden, dabei aber ihr Geschlecht nicht zu verleugnen. Frauen und Männer sind nicht besser oder schlechter, weder als Vorgesetzter noch als Mitarbeiter. Sie sind einfach nur anders – und das dürfen sie auch sein, auch im Berufsleben.