„Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen!“

„Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen!“

| 2 Kommentare

Das, liebe Freunde der guten Führung, ist oberflächliches Managersprech. Es gibt Probleme, und es gibt Herausforderungen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, außer dass beide einen unerwünschten Zustand beschreiben, der nach einer Lösung verlangt. Denn in beiden Fällen hat man das Ziel, den unerwünschten Zustand zu beenden.

Herausforderung: ursprüngliche Verwendung

Schauen wir uns an, wie der Begriff „Herausforderung“ ursprünglich verwendet wurde:
A. zu B.: „Sie sind ein Idiot!“
B. zu A.: „Morgen früh, fünf Uhr, Jahnwiese. Schwere Säbel!“
Der unerwünschte Zustand ist die Beleidigung. Die Lösung ist ein Treffen, bei dem idealerweise der Beleidigte (B.) den Beleidiger (A.) erschlägt. Aber auch wenn es umgekehrt ist, wenn A. den B. erschlägt, ist der unerwünschte Zustand, die Beleidigung, gegenstandslos geworden, Satisfaktion wurde geleistet. Alles ist wieder gut – nur leider gibt es einen Toten.

Wenn wir nicht von einer Person, sondern von einer Situation herausgefordert werden, kann diese Herausforderung einfach oder schwer zu meistern sein, sie kann sogar kompliziert sein. Sie ist aber nie komplex, sondern immer kausal mit der Herausforderung über eine erkennbare Ursache-Wirkungs-Kette verknüpft.

Ein Problem

Ein Problem hingegen ist immer komplex. Denn dessen Lösung hat meist keine kausale Verbindung zu ihm. Lösungen für Probleme lassen sich nie einfach aus dem Problem ableiten, denn wie schon Albert Einstein sagte: Probleme lassen sich nie mit den gleichen Methoden lösen, mit denen man in sie hineingeraten ist. Man braucht für die Lösung von Problemen eine übergeordnete Sicht der Dinge, sonst doktert man an den Symptomen herum. Die Lösung für ein Problem lässt das Problem verschwinden, ohne dass man etwas direkt an ihm tut. Man spielt also sozusagen über Bande. Die Herausforderung dagegen kann man direkt angehen. Bitte verwechseln Sie also nicht ein Problem mit einer Herausforderung! Ein alltägliches Beispiel macht das vielleicht klarer.

Ein alltägliches Beispiel

Nehmen wir an, ich stelle fest, dass ich zu dick werde. Der unerwünschte Zustand ist also meine Speckschicht. Ich beobachte mich und tatsächlich knabbere ich jeden Abend vor dem Fernseher eine Tüte Chips, so eine richtige Kalorienbombe. Ich kann das Problem direkt angehen, indem ich die Chips weglasse. Das fordert mich heraus, denn wenn mein Verhalten eine jahrelange Gewohnheit ist, kann es schwer sein, sie aufzugeben. Aber die Lösung – weniger Kalorien – hat direkt etwas mit dem unerwünschten Zustand – dick sein – zu tun.

Nehmen wir einen anderen Fall. Ich versuche, weniger zu essen und ich schaffe es einfach nicht. Nachts überkommen mich Fressattacken, danach ist der Kühlschrank leer. Das ist jetzt keine Herausforderung mehr, das ist ein Problem. Denn „weniger essen“ ist hier nicht die Lösung, das Problem liegt tiefer. Klassischerweise habe ich zum Beispiel ein Trauma erlitten, gegen das ich mich mit einer Speckschicht zu panzern versuche. Um die Lösung – schlank werden – zu erreichen, ist erst einmal das Trauma anzuschauen und zu heilen, dann hören die Fressattacken auf und ich werde schlanker, ohne dass ich direkt etwas gegen die übermäßige Kalorienaufnahme getan hätte. Wenn ich dieses Problem mit einer Herausforderung verwechseln würde, würde ich vielleicht ein Zeitschloss an den Kühlschrank machen. Das Problem wäre damit nicht ursächlich gelöst.

Vielleicht habe ich aber auch ein ganz anderes Problem: Ich fühle mich dick, obwohl ich gar nicht dick bin. Der unerwünschte Zustand – dick sein – existiert also nur in meiner Vorstellung. Ich habe also ein gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper, vielleicht durch einen Glaubenssatz aus der Jugend. Wenn ich es schaffe, den Glaubenssatz aufzulösen, wird mein Selbstbild objektiviert und das Problem verschwindet. Die Lösung hat also auch in diesem Fall nichts mit dem Problem zu tun.

Ein Beispiel aus dem Geschäftsleben

Nehmen wir an, Sie bemerken, dass ein von Ihnen produziertes Produkt nicht mehr gekauft wird. Sie erforschen die Gründe für den mangelnden Absatz.

Sie stellen fest, dass der Wettbewerb mit vergleichbaren Produkten viel billiger ist. Verstehen Sie das als eine Herausforderung, dann werden Sie als Lösung Ihr Produkt billiger anbieten. Das kann schwierig sein, weil Sie vielleicht die Herstellungskosten senken müssen. Vielleicht ist es sogar kompliziert, weil Sie die Herstellung ins Ausland verlagern müssen.

Betrachten Sie den mangelnden Absatz Ihres Produktes aber als Problem, werden Sie nach einer anderen Lösung suchen als der, den Preis zu senken. Möglicherweise werden Sie eine Werbekampagne starten, die die überragenden Eigenschaften Ihres Produktes hervorhebt und so den höheren Preis relativiert.

Sie haben auch dann ein Problem, wenn Sie feststellen, dass der Preis Ihres Produkts mit dem des Wettbewerbs vergleichbar ist. Bei der Suche nach einer Lösung bemerken Sie möglicherweise, dass Ihre Firma im Markt einen katastrophalen Ruf hat. Die Maßnahmen, um den Ruf eines Unternehmens zu verbessern, sind komplex. Kunden haben in Bezug auf die Beurteilung einer Firma ein chaotisches Verhalten: manchmal können kleine Marketing-Maßnahmen den Ruf signifikant verbessern, in anderen Fällen bringen aufwändige Kampagnen vielleicht überhaupt nichts. Auf jeden Fall hat die Lösung – Verbesserung des Rufs Ihrer Firma – nichts mit dem Produkt zu tun, das wie Blei im Lager liegt.

Fazit

Ein unerwünschter Zustand kann eine Herausforderung oder ein Problem sein, je nachdem, ob die Maßnahmen zur Lösung mit dem Zustand linear verbunden sind oder ob ein komplexer Zusammenhang besteht. Ein Problem eine Herausforderung zu nennen, linearisiert den Zusammenhang nicht, sondern leugnet nur seine Komplexität. Die Lösung wird dann zu kurz greifen, sie wird an den Symptomen herumdoktern, ohne die Ursachen in Angriff zu nehmen. Ein Problem nicht Problem zu nennen, ist also nicht nur ein semantischer Fehler, sondern führt bei der Suche nach Lösungen in die falsche Richtung.

Die so gefundene Lösung ist deshalb falsch, weil sie das Problem simplifiziert und seinen Kern nicht erreichen. Wir benötigen jedoch in einer volatilen Welt nachhaltige Lösungen, keine Pflaster für Symptome. Also trauen Sie sich, verniedlichen Sie nichts und nennen Sie die Dinge beim Namen!

Autor: Roland Scherer

Roland Scherer, Jahrgang 1951, Buchautor, systemischer Personal und Life-Coach. Ausbildung und Zertifizierung zum Psychologischen Berater und Coach. Sein Schwerpunk liegt auf lösungsfokussierte Gesprächsführung, systemisches Denken und Handeln und Aufstellungen. Er praktiziert seit Jahren im Rahmen der Begleitung seiner Klienten Systemische Aufstellungen, wobei er die Systemische Struktur-Aufstellung nach Insa Sparrer und Mathias Varga von Kibéd als besonders hilfreich erfahren hat.

2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


eins + 6 =