Ein noch recht junger Bekannter von mir hat eine schwere, psychosomatisch bedingte Erkrankung. Verantwortlich dafür ist eindeutig ein Glaubenssatz, den er von seinen Eltern für sein Leben mitbekommen und verinnerlicht hat. Aber weil er ein Ganzer Mann ist, lässt er sich nicht helfen: „Das schaffe ich schon alleine,“ sagt er, und: „Wenn mein Vater rauskriegt, dass ich zu einem Psychofritzen gehe, verliert er jede Achtung vor mir!“ Ich befürchte, er stirbt auch als Ganzer Mann – möglicherweise in naher Zukunft.
Ich kenne diese Auffassung, ich war schließlich nicht immer Coach. Als Maschinenbauingenieur habe auch ich nichts von den „Kopfschrumpfern“ gehalten. Ich musste einige nicht ganz einfache Erfahrungen machen, bis mir klar wurde, dass nicht derjenige ein Versager ist, der sich Hilfe holt, sondern derjenige, der vor lauter Scham und Befangenheit und falsch verstandener Männlichkeit alles mit sich selbst auszumachen versucht. Meist klappt das nicht, das Leiden wird perpetuiert und chronisch.
Hilfe annehmen im Beruf
Überlegen Sie, wie das im Beruf ist: Nehmen wir einmal an, bei der Arbeit stößt einer Ihrer Mitarbeiter auf ein Problem, das er nicht kennt. Er weiß aber, dass ein Kollege sich schon einmal damit auseinandergesetzt hat. Welchen Mitarbeiter schätzen Sie nun mehr: denjenigen, der sich beim Kollegen Hilfe holt, oder denjenigen, der versucht, sich alleine durchzuwursteln und dabei die Fehler macht, die andere vor ihm auch schon einmal gemacht haben, und der deshalb die doppelte Zeit braucht oder zu keinem guten Ergebnis kommt?
Und jetzt geht es um Probleme aus dem psychischen Bereich. Wahrscheinlich haben Sie davon weniger Ahnung – Ihr Arbeitsgebiet ist ja ein ganz anderes. Was noch dazu kommt, Sie haben bestimmt schon einmal gehört, dass kein Arzt sich oder seine Familie behandelt, sofern das gesundheitliche Problem über einen Schnupfen hinaus geht. Das ist bei Coachs und Therapeuten genau so. Sie suchen sogar noch schneller Hilfe bei einem Kollegen, weil sie wissen, dass wir alle einen blinden Fleck haben, eigene Probleme oder die von nahen Angehörigen also einfach nicht oder nur persönlich gefärbt sehen können.
… und was macht ein Ganzer Mann?
Aber ein Ganzer Mann braucht natürlich niemanden! Er käme sich als Versager vor, wenn er sich Hilfe holen würde. Der lonesome rider – das kann durchaus auch eine Frau sein, die ihre weibliche Seite verleugnet – ist schließlich kein Waschweib, die können sich bei den Psychos ausheulen. Dazu hat er keine Zeit. Und so wurschtelt er still vor sich hin, verscherzt es sich mit seinen Kollegen, verliert seine Frau, seine Kinder werden ihm fremd. Oft ist sein einziges Heilmittel exzessive Arbeit und Alkohol oder Pillen. Und er weiß nicht, was er falsch macht. Oder er weiß es und kann es nicht lassen und weiß nicht warum.
Hilfe suchen ist ein Zeichen von Stärke
Wer sich beraten oder coachen lässt, oder wenn es ernst wird, zum Therapeuten geht, der ist weder ein Versager noch schwach. Er hat einen klaren Blick auf sich selbst, er hat den Mut zu sagen: „Hier komme ich nicht weiter!“ Und dann handelt er entschlossen und sucht sich Hilfe. Ich weiß, wie schwer das ist, und deshalb habe ich vor meinen Klienten Hochachtung – sei es ein Mann oder eine Frau. Und ich nehme dessen Probleme ernst, auch wenn ich im ersten Augenblick denke, sie seien einfach und leicht zu beheben. Doch weiß ich aus Erfahrung, sie sind es nicht. Und ich weiß, dass nur der Coachee der Experte für sein Problem ist und ich gar nichts über es weiß, auch wenn ich sie zu kennen glaube.
Trotzdem kann ich helfen, indem ich die richtigen Fragen stelle, denn das ist meine Aufgabe. Denn anders als die gängige Vorstellung glauben lässt, macht ein Coach kein Problem weg, sondern er begleitet den Coachee bei seiner Lösung des Problems. Nach dem Coaching kann der Coachee stolz auf sich sein: er hat sein Problem angegangen und erfolgreich bearbeitet. Seine Umgebung wird sich nicht geändert haben. Kollegen, Chefs, und Mitarbeiter werden die gleichen geblieben sein, mit all ihren Macken, aber sein Blick darauf wird sich geändert haben und er wird leichter damit umgehen können. Und er wird sich selbst anders sehen und eine größere Handlungsfreiheit haben.
Auch Andere werden wahrnehmen, dass er sich geändert hat. Vielleicht werden sich die Leute wundern, aber er muss den Grund dafür ja nicht überall herumerzählen, wenn er das nicht will. Und der Coach hat Schweigepflicht – übrigens auch gegenüber dem Arbeitgeber, selbst wenn dieser den Coach bezahlt hat. Also, sehen Sie zu, dass Sie in Ihre Stärke kommen – ich begleite Sie gerne!