Dieser Spruch wird von Vorgesetzten gerne benutzt, um Mitarbeiter zu höherer Leistung zu bringen. Er klingt ja auch eleganter als: „Seien Sie nicht so faul!“, oder: „Strengen Sie sich mehr an!“, oder: „Machen Sie mehr unbezahlte Überstunden!“ Aber wer den Spruch in diesem Sinne verwendet, hat die Sache mit der Komfortzone nicht verstanden. Der Begriff ist auch missverständlich, ich würde einen anderen benutzen, aber er hat sich nun einmal etabliert. Wir sollten uns aber darüber im Klaren sein, was er bedeutet.
Die Komfortzone als Schmerzvermeidung
Jeder, ob Mitarbeiter oder Chef, versucht Schmerzen – seien sie nun körperlicher oder seelischer Art – zu vermeiden. Auch in der Arbeit ist das ein übliches und legitimes Verhalten. Und das Verhalten, das nicht schmerzt, ist die Komfortzone. Das heißt nun nicht, dass wir in der Komfortzone weniger arbeiten würden, es ist oft ein Bereich großer und hektischer Anstrengungen, und es werden große Anstrengungen unternommen, in dieser Zone bleiben zu können. Um trotzdem weiter Erfolg zu haben, versucht man mit einem „Mehr des Selben“ in gewohnten Bahnen zu bleiben. Aber wenn die Kunden abwandern oder die Kosten aus dem Ruder laufen, reicht es eben nicht, Überstunden zu machen. Es muss etwas völlig Neues getan werden, es muss die Komfortzone verlassen werden.
Die Komfortzone als Schonhaltung
Da es um Schmerzvermeidung geht, fällt mir ein Beispiel aus der Medizin ein. Dort nennt man eine Haltung, die ein Mensch bei Schmerz einnimmt, eine „Schonhaltung“. Also bei einem Hexenschuss geht er gebückt, bei Knieschmerzen, belastet er das entsprechende Bein möglichst wenig, humpelt also. Ein Arzt sieht allein schon aufgrund der Schonhaltung, dass und wo ein Patient Schmerzen hat.
Wir wissen, dass eine Schonhaltung schädlich ist, weil sie unnatürlich verkrampft ist und Muskeln, Sehnen oder Gelenke überlastet. Die Schmerzen werden also aufgrund der Schonhaltung mit der Zeit schlimmer. Aber der Patient kann nicht anders, jede andere Haltung tut zu weh.
Ein Patient erwartet vom Arzt, dass der etwas gegen den Hexenschuss tut und wäre empört, wenn der Arzt nur sagen würde: “Kommen Sie aus Ihrer Schonhaltung heraus, dann wird das schon wieder!“ Er würde wohl den Arzt wechseln.
Nun ist es recht einfach, den Arzt zu wechseln. Einen Chef zu wechseln, der im Grunde dieselbe Therapie anwendet, indem er den selben Spruch, nur mit dem Begriff „Komfortzone“ verwendet, ist mit erheblich größerem Aufwand verbunden. Aber man möchte einem solchen Chef nahelegen, erst einmal etwas gegen die Arbeitsumgebung zu tun, die die Mitarbeiter zu einer Schonhaltung – pardon – in die Komfortzone zwingt. Er sollte, wie der Arzt, der etwas gegen die Schmerzen des Patienten tun muss, erst einmal etwas gegen die schmerzenden Verhältnisse tun, dann kommen die Mitarbeiter schon von alleine aus der Komfortzone, wenn diese nicht mehr hilfreich ist.
Die Komfortzone ist attraktiv
Denn niemand verharrt gerne in einer Schonhaltung. Wenn ein Patient allerdings lange Schmerzen hatte, verinnerlicht er manchmal die Schonhaltung so, dass er sie auch dann nicht mehr aufgibt, wenn der Schmerz weg ist. Genauso wird ein Mitarbeiter, der zum Beispiel jahrelang unter einem Vorgesetzten gearbeitet hat, der nur Anweisungen gegeben hat und für den Widerspruch ungehörig war, in der Komfortzone „keine eigenen Gedanken haben“ bleiben. Selbst wenn er in eine Abteilung kommt, in der Widerspruch willkommen ist, bleibt er aus Gewohnheit, aus Vorsicht und aufgrund der schlechten Erfahrungen, die er gemacht hat, vorerst bei seinem Verhalten. Dann sollte man ihm helfen zu erkennen, dass sein Verhalten nun weder erforderlich noch angemessen ist – gerade so wie man dem Patienten helfen muss, sich aufzurichten, wenn der Hexenschuss verschwunden ist.
In allen anderen Fällen sollte der Vorgesetzte sich erst einmal überlegen, was er versäumt hat, dass die Mitarbeiter in einer Komfortzone verharren. Diese Gründe zu erkennen, ist nicht einfach, vor allem, wenn man schon seit Jahren Teil des Systems ist. Kontaktieren Sie mich, wenn ich Sie hierbei unterstützen kann.
Komfortzone versus Bequemlichkeit
Ja, und dann gibt es – selten, aber es gibt sie – Mitarbeiter, die sich wirklich drücken. Dann sollte der Chef das ihnen aber auch so sagen und nicht mit irgendwelchen halbverstandenen Euphemismen einer klaren Aussage ausweichen. Führen heißt nämlich mutig sein, auch und gerade gegenüber solchen Mitarbeitern, die sich anscheinend auf Kosten der Kollegen einen Lenz machen. Bleiben Sie bei so einem Gespräch aber ergebnisoffen. Vielleicht gibt es gute Gründe für dieses Verhalten, die Sie noch nicht kennen. Sie könnten so noch etwas über Ihre Mitarbeiter lernen.