Eine Krankenschwester wird sich auch privat die Hände öfter mit einem Desinfektionsmittel waschen, ein Autohändler gegen Vorderreifen treten, um die Radlager zu prüfen, ein Fliesenleger die Fugen in jedem Bad prüfen, ob sie auch gerade sind. Man kann Mitglieder unterschiedlicher Berufsgruppen oft an ihrem Verhalten erkennen, der Beruf färbt immer ab. Das ist nicht weiter kritisch, es sind Verhaltensweisen, die nicht stören, und die man schnell wieder ablegen kann.
Kritisch wird es, wenn durch den Beruf eine Veränderung der inneren Haltung stattfindet, um Konformität in allen Bereichen zu erreichen. Eine Firma befriedigt die Bedürfnisse der Angestellten und Chefs nach Geld und Anerkennung. Dafür verlangt eine solche Organisation ein gewisses Maß an Anpassung, ansonsten steht der der Mitarbeiter alleine. Um nicht isoliert zu sein, wird er also mehr oder weniger Konformität anstreben.
Konformität im Team
Man unterscheidet die Einstellungskonformität, bei der der Arbeitnehmer mit den Meinungen und Normen der Firma voll übereinstimmt, und die Anpassungskonformität, bei der er diese nicht teilt, sie aber akzeptiert und nach außen vertritt. Letztere verursacht durch die bewusst aufrecht erhaltene Mimikry Stress, der auf die Dauer bis zum Burnout führen kann.
Besonders gefährlich ist die Leistungskonformität, die Anpassungskonformität an Leistungsnormen. Niemand traut sich mehr, zu einer Aufgabe „nein“ zu sagen, jede wird übernommen. Wer weniger als alles leistet, wird gemobbt, von Chefs und Kollegen. Beispielhaft dafür ist die menschenverachtende Aussage von Steve Jobs: „Zweitklassige Spieler sind nicht zu tolerieren!“
Gerade in einem eng zusammenarbeitendem Team wird Konformität gefordert, bewusst oder unbewusst. Das ist die dunkle Seite der Teamarbeit, die es zu vermeiden gilt, um die psychische Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter zu erhalten.
Verstärkt wird der Anpassungsdruck noch durch die immer mehr üblich werdende enge Verbindung zwischen Chef und Mitarbeiter, die sich im Duzen und in geschäftlichen Gesprächen im privaten Raum äußert. Dann bleiben Diskretion und Distanz auf der Strecke, die Grenzen zwischen der öffentlichen und der privaten Person im Sinne des Johari-Fensters verschieben sich. Die Anpassung wird dadurch schnell zu einer Deformation der Persönlichkeit, denn der Sog der Anerkennungsdynamik wird übermächtig und es gibt keinen geschützten privaten Rückzugsraum mehr. Es kommt zur kognitiven Dissonanz, bei der der Widerspruch zwischen Denken und Handeln durch die Anpassung des Denkens an das Handeln aufgelöst wird. Da der private Rückzugsraum fehlt, verändert sich auch die private Einstellung, die Arbeit für Geld und Anerkennung führt zu einer veränderten privaten Haltung.
Besondere Gefahren in Dienstleistungsberufen
Bei Dienstleistungsberufen, die dem Kunden grundsätzlich freundlich gegenüber treten müssen, kommt es zusätzlich zu einer emotionalen Dissonanz, bei der der Gestus im Gegensatz zu den Gefühlen steht. Auch im Privaten lassen sich dann auf die Dauer Gefühle nicht mehr so ausdrücken, dass sie beim Gegenüber echt und ungekünstelt ankommen, eine Dimension der Kommunikation ist durch Verfälschung zerstört. Ein Beispiel dafür ist das unecht wirkende Dauerlächeln der Flugbegleiter, das auch im privaten Raum kaum noch abgestellt werden kann.
Innengeleitete Mitarbeiter sind wertvoll
Wer im beruflichen Umfeld seiner eigenen Haltung treu bleibt, übersteht das Berufsleben relativ unbeschadet. Solche Menschen sind innengeleitet, das heißt, sie haben einen inneren Kompass, nach dem sich ihr Denken und Handeln richtet. Im Gegensatz dazu werden sich außengeleitete Menschen an die Meinungen und Normen der Firma anpassen, da sie sich durch Lob und Anerkennung definieren. Diese windschnittigen „Chamäleons“ haben allerdings im Berufsleben viel eher Erfolg als ihre innengeleiteten Kollegen, die als schrullig angesehen und oft aufs Abstellgleis abgeschoben werden. Nur in technischen Berufen ist diese Erscheinung weniger stark, hier kann dem politischen Sog der Anpassung durch Fachkenntnisse, die die Firma noch dringender braucht als Konformität, entgangen werden. Hervorragende Fachleute dürfen schrullig sein, das wird sogar, natürlich in Grenzen, von Geschäftskunden toleriert.
Ein Chef, der einer emotionalen Verkrüppelung seiner Mitarbeiter entgegentreten möchte, hat heute einen schweren Stand, da Angestellte im vorauseilendem Gehorsam ihre eigenen Überzeugungen und Werte wohlfeil zu Markte tragen. Aber er kann die Kultur der Selbstkritik vorleben und kann Gegenpositionen der Mitarbeiter goutieren. Sein Feedback sollte nicht nebulös, sondern konkret und konstruktiv sein. Und er sollte zurückhaltende Mitarbeiter zur aktiven Teilnahme an Diskussionen ermutigen, auch, indem er seine eigene Meinung zu Anfang zurückhält. Denn innengeleitete Mitarbeiter sind wertvoll. Sie hängen ihr Fähnchen nicht in den Wind und helfen dem Chef und der Gruppe, der Konsensfalle zu entgehen.
Literatur:
Michael Busch, „Auszehrung der Mitarbeiter durch Konformitätsdruck“ (Gabler)
Cornelia Koppetsch, „Wiederkehr der Konformität“ (Campus)