Inkompetenz schenkt Selbstvertrauen

Inkompetenz schenkt Selbstvertrauen

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„Es geht nichts über eine gesunde Halbbildung!“  Wer kennt diesen Satz nicht? Und er scheint wahr zu sein, denn gerade die Menschen mit wenig Wissen über ein Fachgebiet vertreten umso konsequenter ihre Meinung dazu. Sie sind überzeugt, die Sache zu durchblicken. Besser jedenfalls als die „Eierköpfe“, die sich ein halbes Leben mit diesem Gebiet beschäftigt haben. Sie schauen also auf die wirklich kompetenten Leute herab.

Ein anderes Beispiel, das Sie bestimmt auch schon beobachtet haben: Leute kommen aus einer Prüfung, einige sind überzeugt, dass sie sie gut bestanden haben, andere zweifeln, sind sogar davon überzeugt, durchgefallen zu sein. Und wenn die Ergebnisse vorliegen, haben die von der zweiten Gruppe die besten Noten. Wie kommt das?

Der Dunning-Kruger-Effekt

Ende des letzten Jahrhunderts haben zwei Psychologen diesen Effekt näher untersucht. Sie haben dabei interessante Beobachtungen gemacht, die in den folgenden Sätzen zusammengefasst werden können.

Menschen mit geringer Kompetenz …

  • überschätzen in der Regel ihre Fähigkeiten und erkennen ihre Fehler nicht.
  • können die Fähigkeiten wirklich kompetenter Leute nicht erkennen.
  • können nicht einschätzen, wie inkompetent sie sind.
  • sind nicht bereit einzugestehen, dass sie aufgrund ihrer geringen Kompetenz schlechte Ergebnisse erzielen.
  • wollen nicht dazuzulernen, denn sie halten sich für kompetent.
  • Werden sie allerdings gezwungen, dazuzulernen, erkennen sie hinterher den vorherigen Grad ihrer Inkompetenz.

Menschen mit hoher Kompetenz …

  • tendieren dazu, ihr Wissen zu unterschätzen.
  • wissen, dass in ihrer Kompetenz naturgemäß große Lücken klaffen.
  • haben mehr Fragen als Antworten und wirken deshalb unsicher.
  • überschätzen die Kompetenz anderer Menschen, weil sie deren Selbstsicherheit bewundern.
  • Weil Ihnen eine Aufgabe einfach erscheint, denken sie, auch anderen müsse diese Aufgabe leicht fallen. Deshalb können sie leicht arrogant wirken, ohne es zu sein.

Was kann man gegen dieses falsche Selbstbild tun?

Wir haben gesehen, dass alle Menschen, egal ob Experten oder Unwissende, in einer Blase ungenauer Selbstwahrnehmung gefangen sind. Wenn sie wenig kompetent sind, können sie ihre eigenen Lücken nicht erkennen, sind sie überdurchschnittlich kompetent, erkennen sie nicht, wie außergewöhnlich ihre Fähigkeiten sind.

Es gibt zwei Wege gegen falsche Selbstwahrnehmung:

  • Hören Sie nicht auf zu lernen! Wer lernt, kann seine Lücken erkennen.
  • Bitten Sie andere um Feedback. Wenn Sie jemanden finden, der Ihnen ein ehrliches Feedback gibt, tut das zwar manchmal weh, ist aber eine Chance, die eigene Kompetenz realistisch einzuschätzen.

Gefahren der Inkompetenz

Aufgrund ihrer falschen Selbstsicherheit machen inkompetente Leute einen kompetenten Eindruck. Kollegen, die sich wirklich auskennen, haben Zweifel, da sie mehrere mögliche Lösungen sehen. Sie sehen auch die Nachteile der von ihnen vorgeschlagenen Lösung und wirken deshalb unsicher. Wer aber überzeugend auftritt, überzeugt andere und setzt seinen Vorschlag durch.

Da die Masse der Menschen zu einem bestimmten Gebiet nur ein Halbwissen haben kann,  haben die „grandes simplificateures“ einen solchen Erfolg. Das Mittelmaß regiert, denn inkompetente Menschen haben Angst vor undurchschaubaren Komplexitäten, sie laufen also den Trumps dieser Welt nach, die die Komplexitäten vereinfachen, egal ob deren Erklärung Sinn hat oder nicht. Jedoch wird eine Erklärung nicht dadurch richtig, dass sie einleuchtend ist.

Lassen Sie sich also nicht von denen täuschen, die mit großer Überzeugungskraft Trivialitäten verkünden. Überlegen Sie immer, ob diese Leute auch wirklich kompetent sein können. Vertrauen Sie keinen einfachen Erklärungen, wagen Sie komplexe Gedanken. Und bleiben Sie bereit, stets dazuzulernen.

Autor: Roland Scherer

Roland Scherer, Jahrgang 1951, Buchautor, systemischer Personal und Life-Coach. Ausbildung und Zertifizierung zum Psychologischen Berater und Coach. Sein Schwerpunk liegt auf lösungsfokussierte Gesprächsführung, systemisches Denken und Handeln und Aufstellungen. Er praktiziert seit Jahren im Rahmen der Begleitung seiner Klienten Systemische Aufstellungen, wobei er die Systemische Struktur-Aufstellung nach Insa Sparrer und Mathias Varga von Kibéd als besonders hilfreich erfahren hat.

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